Therdeban Band 1

Leseprobe

Fremder in der Dunkelheit

Der Hammer lag noch unter ihrem Kopfkissen. Francesca packte ihn und klammerte sich daran als würde ihr Leben davon abhängen. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie zur angelehnten Zimmertür.
Es war jemand im Haus. Vorsichtig schob sie die Tür auf, bis der Spalt breit genug war, um den Kopf hindurch zu stecken. Sie hielt den Atem an und lauschte. Die Stimme aus dem Erdgeschoss plapperte fröhlich weiter, es ging gerade um Waschpulver. Werbung im Radio. Das war aber nicht, was sie gehört hatte.

„Warte bitte, Misch“, hauchte sie in ihr Handy, „nicht auflegen, ja? Da war was.“

„Schon wieder“, gähnte Michelle am anderen Ende der Leitung, „aber nimm eine Waffe mit.“

„Klar.“
Francesca hob den Hammer auf Schulterhöhe und presste mit der linken Hand das Handy dicht ans Ohr. Es war gut, dass Michelle da war, wenn auch nur am anderen Ende der Leitung. Wenn es schlimm kam, dann könnte Michelle die Polizei rufen und…

Bum.

Da war das Geräusch wieder. Ihr Herz schlug wild gegen ihre Rippen, als wolle es herausbrechen und davonrennen. Sie spürte kalten Schweiß an der Stirn und am Rücken, ihre Hände wurden ganz feucht. Francesca umklammerte den Hammer noch fester, holte einmal tief Luft und sah um die Ecke in den unteren Stock.

Alle Lichter waren an, wie immer, wenn sie allein zuhause war. „Soll ich die Polizei rufen?“, rief Michelle.

Der Hammer entglitt Francescas feuchten Fingern, im letzten Moment fing sie ihn auf, ehe er laut auf den Boden donnerte.
„Verdammt, nicht so laut!“, zischte sie. „Jetzt warte bitte!“

Der Radiomoderator verkündete gerade die Uhrzeit. Dreiundzwanzig Uhr. Francesca versuchte zwischen Politik und Wetter herauszufinden, ob irgendjemand im Haus nach Wertsachen wühlte. Nichts war zu hören. Sie wagte sich auf den Gang, dann die Treppe hinab. Ihre Beine fühlten sich an wie Gummi, als sie sich an der Flurwand entlang in Richtung Wohnzimmer schob. Es war leer.

Eindringlinge im Haus
Eindringlinge im Haus

„Ist es irgendein böser Mann?“, fragte Michelle besorgt. In der Küche war auch nichts.

„Ist es ein gut aussehender, böser Mann?“, kam es hoffnungsvoll aus dem Handy. Ein paar Nachtfalter flatterten Francesca aus dem leeren Esszimmer entgegen. Niemand. Ein Blick genügte. Verandatüre und Haustüre waren verschlossen, die Schlüssel steckten noch.

„Uff“, atmete sie auf, „war nichts, ich hätte aber schwören können!“

Es war still am anderen Ende der Leitung.

„Misch?“

„Mhm…“

Michelles Stimme klang fern und verzerrt, übertönt durch ein Schaben und Kratzen. Natürlich, sie hatte auf laut gestellt und zeichnete wieder. Bestimmt hatte sie sich einen Filzstift in den Mund gesteckt. Francesca spürte einen Anflug von Ärger, wenn was gewesen wäre…

Es raschelte und die Stifte knallten, als die Deckel aufgesteckt wurden. Dann war Michelles Stimme wieder fröhlich und klar direkt an ihrem Ohr. „Gestern war es genau gleich, Franny. Das war das Holz. Du weißt doch, alte Häuser sind gesprächig.“

„Ja, mach dich ruhig lustig … ich bin alleine hier!“ Francesca drehte das Radio aus, ließ sich auf das Sofa plumpsen und legte den Hammer auf ihre immer noch zitternden Oberschenkel. Sie gab ungern zu, was für ein Angsthase sie war. Das war die Kehrseite von sturmfrei. Fernsehen ohne Ende, nicht abwaschen, Spaghetti Bolognese zum Frühstück und zum Abendessen, Chips. Aber nachts mit der Decke über dem Kopf und allen Lichtern an stundenlang wach liegen. Peinlich für ihr Alter.

„Sag bloß, du hast wieder einmal den Hammer mit ins Zimmer genommen!“

Michelle lachte.

„Ja sorry! Ein Messer, ich meine, Abstechen geht nicht! Nicht, dass der verblutet!“

„Franny, du oder er. So einfach.“

„Ja, sagt man mal eben so!“

Francesca schnappte sich eine Strähne ihres langen Haares und kaute darauf herum. Der Spruch konnte nur von Michelle kommen. Auf der anderen Seite der Leitung erwachten die Filzstifte wieder zum Leben. Bestimmt malte Michelle gerade einen fauchenden Drachen auf ihr Deutschheft.

„Ach Franny, ich weiß doch. Weißt du was, morgen kommst du zu mir, einverstanden? Vielleicht … bis deine Eltern zurückkommen?“

„Okay. Aber nur bis Freitag. Hier sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.“
Francesca hob eine Tasse vom Sofatisch hoch, die einen Ring auf dem Glas hinterlassen hatte. Mit dem Fingernagel begann sie, die eingetrocknete Schokoladenmilch abzukratzen. Sie schämte sich. Es war auch jedes Mal das gleiche: Am letzten Tag auf Teufel komm raus das Haus putzen.

„He, meinst du Marco hat unser Foto in der Zeitung gesehen?“, fragte Michelle. Das Schaben von Stiften auf Papier wurde lauter. Immer wenn sie aufgeregt war malträtierte Michelle ihre Filzstifte besonders inbrünstig. Einer von ihnen quietschte wie eine Maus in den Pfoten einer Katze. Abrupt verstummte das Geräusch.

„Bist du noch da, Franny?“

Francescas Blick war zur Decke gerichtet. War das der Wind?

„Hallo?“

„Was?“

Francesca schüttelte verwirrt den Kopf.

„Du hast nicht geantwortet! Bild. Marco.“

„Ich … sorry … ich …“

Dass sie Schritte gehört hatte, erwähnte sie lieber nicht. Wer lief schon bei strömendem Regen auf dem Dach herum? Nein, das konnte nur Einbildung sein. Plötzlich war sie sauer auf sich, sie hatte ja unbedingt die Serie mit dem Psycho sehen wollen, der sich nachts in Häuser schlich, die schlafenden Frauen beobachtete und dann erwürgte. Kein Wunder bildete sie sich nun bei jedem Geräusch etwas ein.

„Ich weiß nicht, meinst du echt, der liest AZ oder überhaupt ’ne Zeitung?“, seufzte Francesca und zwirbelte eine Haarsträhne. Sie hatte keine Lust auf die Marco-ist-süß-Geschichte.

„Wir sollten es als Profilbild bei Facebook nehmen. Solltest das rote Kleid mal zur Schule anziehen, Francescalein.“

Francesca spürte die Hitze auf ihren Wangen. Bestimmt hatte sie nun die gleiche Farbe wie das Cocktailkleid mit viel zu viel Ausschnitt.

„Ja, sicher. Damit ich aussehe wie eine Schlampe!“

Sie zippte sich den Pulli bis zum Kinn zu „Wehe du lädst es ins Netz!“ Aus der Leitung kam keine Antwort, selbst das Kratzen der Stifte war verstummt.

„Misch?“

„Mama ist da“, flüsterte Michelle, „Morgen vor Eckmanns Deutschstunde in der Bibliothek? Tschüss!“

Francesca riss den Mund auf, doch aus der Leitung kam nur das Leerzeichen. Mit einem Seufzen rieb sie ihre Stirn. Sie fühlte sich einsam in dem Haus, in dem es nun ungewohnt still war. Der Regensturm schien endlich vorbei zu sein. Francesca ließ den Finger unentschlossen über dem Display des Handys kreiseln, überlegte sich, ob sie ihre Mutter anrufen sollte. Stattdessen öffnete sie den Foto-Ordner und betrachtete das Bild von sich und Michelle. Es war verschwommen, da sie es direkt aus der Zeitung abfotografiert hatte. Zwei Mädchen in langen Abendkleidern waren darauf zu sehen, hinter ihnen der Charity-Banner des Vereins, für den die Schule Spenden gesammelt hatte. Francesca wusste nicht, wie ihre beste Freundin so locker posieren konnte – selbstsicher wie ein Star im Rampenlicht. Sie selbst hingegen passte nicht auf die Bühne. Es sah aus, als würde sie die Luft anhalten oder einen Stock im …

Ein Flüstern durchschnitt die Stille. Francesca zuckte erschrocken zusammen. Aus den Augenwinkeln heraus erhaschte sie eine Bewegung, direkt an der Lampe über ihr. Ein Nachtfalter. Er versuchte gerade, auf der heißen Birne zu landen. Erleichtert atmete Francesca auf.
„Himmel, hast du mich erschreckt.“

Sie stopfte das Handy in die Hosentasche und hielt dem Falter die Hand entgegen. Das Insekt flatterte erst um ihre Finger und landete dann mit wackelnden Fühlern auf ihrer Handfläche. Francesca wölbte schützend die andere Hand über das kleine Wesen. Seine Beine kitzelten und entlockten ihr ein Lächeln. Sie schielte zwischen den Fingern hindurch und erhaschte einen Blick auf das bezaubernde, schwarzweiße Muster der Flügel. Langsam ging sie in Richtung Verandatüre. „Ich bring dich raus, ja? Das Wetter ist nicht toll, aber …“
Zwei Meter vor der Türe berührte etwas Kaltes ihre Zehen. Verwirrt blickte sie hinab. Sie stand mit den Socken in etwas Nassem. Die Motte flog davon, als Francesca in die Hocke ging und erstaunt den Fleck am Boden betrachtete.

Wasser. War das Dach undicht? Nein, der Fleck hatte eine ganz spezielle Form, vier kleine Wasserpfützen und eine große halbrunde … das kannte sie doch. Francesca stellte sich auf die andere Seite des Abdruckes – mit dem Rücken zur Verandatüre. Ein Pfotenabdruck! Ein Pfotenabdruck so groß wie ein Suppenteller. Der Anblick schnürte ihr die Kehle zu. Sie presste sich rücklings an die kalte Scheibe, den Türgriff umfasst, bereit, die Flucht zu ergreifen. Da, noch einer. Die wässrige Spur führte ins Haus hinein. Je weiter das Tier gegangen war, umso trockener wurden die Abdrücke, bis sie gänzlich verschwanden. Deswegen waren sie ihr vorher nicht aufgefallen. Was für ein Tier war das? Es gab keine Bären in ihrer Nachbarschaft, nicht mal einen Zoo in der Nähe. Und wie hätte ein Bär durch eine geschlossene Tür…

Der Griff in ihrer Hand bewegte sich.

Mit einem Schrei wirbelte sie herum.

Die Reise durch den Gesternwald
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